Das Land Niedersachsen hat bei der Stadt Norderney angeklopft und will nun - über zehn Jahre nach der Kommunalisierung - Gebühren für die Strandbenutzung geltend machen. Wie auf den anderen Ostfriesischen Inseln auch, müsste die Stadt also Geld an das Land bezahlen, obwohl sie für die Kosten der Pflege und Unterhaltung auch schon selbst aufkommt. Bürgermeister Frank Ulrichs zeigte sich nicht begeistert darüber, als er in der jüngsten Ratssitzung davon sprach. Man befinde sich allerdings noch im Gespräch, konkret sei noch nichts und die Bürger bräuchten sich erst mal nicht zu sorgen.
Der Norderneyer Bonno Eberhardt hat sich dazu mal ein paar Gedanken aus Sicht eines Insulaners gemacht - und dabei so manchen Schatz im Archiv gefunden:
Strandjen und Basaltläufer
Bisher hatten die Insulaner nur mit der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 zu tun und alles war dem Strandvogt unterstellt. Das bedeutete, dass alles, was auf dem Strand passierte, sofort dem Vogt zu melden war. Dieses wurde selten gemacht; nur wenn der Vogt schon Kenntnis von einem Vorfall bekommen hatte, wurde es angezeigt, denn der Insulaner war der Meinung, dass das, was am Strand gefunden wurde, Eigentum des Finders ist. Damals war das "Strandjen" noch ein zusätzlicher kleiner Nebenerwerb. Bis um 1960 wurde noch jedes Stück Holz,was man auf dem Strand fand, mit nach Hause genommen und dort verfeuert.
Heute mit dem fortgeschrittenen Wohlstand, wo jede Wohnung eine Zentralheizung hat, bleibt das Holz dort liegen, wo es gerade angespült wurde, und muss von der Behörde entsorgt werden. Auch gab es früher noch bis gleich nach dem Zweiten Weltkrieg die sogenannten "Basaltläufer". Bei Ebbe suchten sie in den Zwischenräumen des Basaltpflasters nach Geld und Schmuckstücken. Diese hatten Kurgäste im Sommer verloren. Bei den Herbststürmen wurden die Sachen dann wieder an Land gespült und blieben am Basaltschutzwerk liegen. Die bekanntesten Basaltläufer waren "Swarte Katt" Jan Rass und Emmius Rass. Sie fanden bei jedem Strandgang etwas. Heute gibt es keinen Strandvogt mehr. Die Zuständigkeit liegt je nach Einzellfall bei der Stadt, dem Staatsbad oder dem Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz (NLWKN).
Die hier auf Norderney noch lebenden Alteinwohner (Insulaner) haben alle die Ballade von Pidder Lüng in der Schule gelernt. Im Geschichtsunterricht war es in der Klasse immer mucksmäuschenstill, wenn der Lehrer uns in der Geschichtsstunde etwas von Nils Randers, dem Schimmelreiter, oder etwas aus der Friesischen Freiheit vorlas.
Heute geht man ins Internet und sucht auf Google, um etwas Genaueres zum Thema zu finden. Fündig bin ich bei Wikipedia geworden. Auch der Norderneyer August Redell hat es in seinem Buch von 1982 "Wiet aver de solten See" treffend beschrieben. In seinem Vorwort steht:
"Doch was weiß der Norderney-Besucher von den Inselzeiten, als noch die Seefahrt und die Fischerei ihr bestimmendes Äußeres gaben? Es waren Zeiten der Sorgen und Nöte, aber auch des Stolzes und des Glanzes."
Verbundenheit zeigen
Dieses Geschehen wird heute noch vom Norderneyer Heimatverein hochgehalten und den Gästen unserer Insel ins Bewusstsein gerufen. Auch die Nachkommen der damaligen Insulaner sowie die zugereisten Bewohner, die sich mit der Inselgeschichte auseinander setzen und sich derzeit hier heimisch fühlen, sind selbstbewusst und stolz, ein Norderneyer zu sein. Einige bringen es heute noch so zum Ausdruck, indem sie die plattdeutsche Sprache sprechen und auch schreiben, einen Ohrring oder ein sonstiges Symbol zum Ausdruck ihrer Verbundenheit zur Insel und auch als Vereinsmitglied im Heimatverein die Norderneyer Tracht in der Öffentlichkeit tragen. Viele Einheimische zeigen die Norderneyer Fahne mit den Inselfarben Schwarz, Weiß und Blau am Mast, der auf dem Grundstück ihres Hauses steht. Und solch stolze Norderneyer sollen nun vielleicht Gebühren für ihren eigenen Strand bezahlen?
Im Norderneyer Stadtrat gibt es ein paar Ratsmitglieder, die heute einen goldenen Ohrring mit ihren Initialen als Symbol tragen und somit sich auch zur Friesischen Freiheit bekennen. Da heißt es in dem Gedicht "Pidder Lüng" von dem deutschen Dichter Detlev von Liliencron (1844-1909):
Das vor allem an der deutschen Nordseeküste bekannte Gedicht beschreibt historisierend den Widerstand der mittelalterlichen friesischen Bevölkerung gegen ihre Obrigkeit, wenn diese von den Friesen Abgaben einforderten. Pidder Lüng war ein Sylter Fischer. Diese Freiheiten sind in der Ballade in lyrischer Form vorangestellt.
Vier von diesen Freiheiten (Fischfang, Jagd, Nacht und See) sind in unserer gegenwärtigen Zeit dem Geldbeutel der Inselbewohner schon zum Opfer gefallen. Da im Niedersächsischen Landtag auch Leute sitzen und sich Gedanken machen, wie man noch mehr Zahlungsmittel erwirtschaften könnte, ist sicher einer der Verantwortlichen, zuständig für das Finanzwesen, auf das Gedicht "Pidder Lüng" gestoßen und hat festgestellt, dass die fünfte Freiheit (Frei ist der Strandgang) der Norderneyer noch nicht mit zur Geldvermehrung eingerechnet wurde.
Jetzt ist im Rathaus das große Staunen ausgebrochen, weil man nun erkannt hat, wie gut es den Insulanern bisher ergangen ist. Vor Jahren noch fuhr der Bürgermeister mit einem Ohrring im linken Ohr und einem Vollbart im Gesicht nach Hannover und brachte dabei das im Haushalt fehlende Geld oder die Zusage dafür gleich mit. Heute, nach der Kommunalisierung des Staatsbades, sind andere Bekenntnisse von Bedeutung und da können die Norderneyer noch so viele Symbole zur Schau tragen wie sie wollen, ändern wird man es nicht mehr, denn der Teufel "Mammon", der schon lange sein Unwesen auf der Insel treibt, hat sein Feld vergrößert.
Damals galt noch der Grundsatz: "Die Tradition bewahren, aber dem Fortschritt aufgetan." Gerade deshalb muss der jetzige Bürgermeister in absehbarer Zeit mit den Beamten der Landesregierung wieder einmal sehr diplomatisch verhandeln, obwohl beide Regierungen (Kommune und Land) in Mehrheit von der gleichen Partei regiert werden. Der Kurdirektor sagt: "Dafür säubern wir auch jeden Morgen den Strand." Dieses Argument wird wohl von den Beamten aus Hannover nicht anerkannt werden, weil die Strandreinigung heute in der doppischen Buchführung der Stadt oder der Kurverwaltung Norderney als Ausgabe gebucht wird und gleichzeitig als Einnahme Kurtaxe gegengebucht wird. Aber noch ist das letzte Wort über diese Gebühr nicht gesprochen, denn im Landtag sitzt auch ein Ostfriese aus der näheren Umgebung. Der Abgeordnete müsste den Norderneyern schon genau erklären, warum diese Gebühr eingeführt werden soll.
Die Krux der Zuschüsse
Sollte Hannover darauf bestehen, den Strand zu verpachten, wie auf einigen anderen Inseln auch, wird man wohl im Norderneyer Rathaus darüber nachdenken müssen, wie man zusätzlich an eine Einnahme kommt, um diese Abgabe in Zukunft zu decken. Denn das ist die Krux mit den politischen Zuschüssen: Manchmal wird auch etwas zurückverlangt. Früher sagten die Bewohner der Insel, wenn etwas Gutes von der Regierung kam: "Dat dick Enn kummt noch achter an." Sie wussten schon, wenn jemand etwas gibt, hat er auch Hintergedanken im Kopf. So funktioniert eben auch die Politik.

Chronik der Insel (Stranderlaubnis) - 
