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Chronik einer Insel
Insel Norderney

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Teil 4

Ostfriesischer Kurier und NBZ (Serie erschien vom 18.11.2017 - 23.12.2017)

Boote auf dem überfluteten Neuen Weg in Norden

Erst am 4. Januar 1718, elf Tage nach der verheerenden Weihnachtsflut vom 24. auf den 25. Dezember 1717, gelang es Johann Diedrich Kettler, Verwalter des Amtes Norden, der fürstlichen Regierung in Aurich einen schon am Jahresende verfassten aktuellen Bericht mit ersten Nachrichten über das Ausmaß und die Folgen der Naturkatastrophe in der Küstenstadt und der ländlichen Umgebung zu übermitteln. Ein Schiffer nahm den Brief mit, der auf bislang unbekannten Wegen schließlich doch noch zu den Auricher Beamten gelangte.

Deiche durchbrochen

Vorher, so Kettler, habe niemand zu Fuß, mit der Kutsche oder zu Pferde in die Residenzstadt kommen können. Kein Wunder, denn gewaltige Wassermassen hatten zahlreiche Deiche durchbrochen und nicht nur das ostfriesische Küstengebiet, sondern auch weite Bereiche im Landesinnern überflutet. Die Wege waren unpassierbar. Wasserfahrzeuge standen nur noch in geringer Zahl und für dringende Rettungsaktionen zur Verfügung. Viele Schiffe und Boote hatten sich in der Orkannacht losgerissen und waren zumeist führerlos über Land getrieben.

Zur Zeit der Weihnachtsflut 1717 war der in Aurich residierende Fürst Georg Albrecht aus der Cirksena-Dynastie Landesherr in Ostfriesland. Um die Verwaltung zu organisieren, war die Region in Ämter und sogenannte "Herrlichkeiten" (wie Lütetsburg und Dornum) aufgeteilt. Zum Amt Norden gehörten die damaligen Vogteien Westermarsch mit Süderneuland und Lintelermarsch mit West- und Ostlintel sowie die Insel Juist. Die Verwaltung lag in den Händen eines Amtmanns. Der zentrale Ort des Amtes war die Stadt Norden, die sich auf bestimmten Gebieten selbst verwaltete (Bürgermeister, Ratsherren), aber auf einigen Entscheidungsebenen den Amtmann hinzuziehen musste. Reibereien und Kompetenzstreitigkeiten konnten nicht ausbleiben. Der Sitz des Amtmanns, das Amtshaus, befand sich am Fräuleinshof.

Für den 1717 tätigen Amtmann Kettler war es eine selbstverständliche Pflicht und Aufgabe, sich unmittelbar nach der Orkannacht über die Lage zu informieren.

Häuser weggespült

Bereits am Morgen des 25. Dezember begab er sich in Norden auf einen ersten Rundgang und sah Szenen der Verwüstung. "An dem hohen Weg, da man hinten von dem Fräuleinshof nach Westgaste geht", trieb zwischen Kisten und Kästen ein totes Kind. Am Korndeich waren mehrere Häuser weggespült. In der Altstadt hatte das Wasser zahlreiche Häuser "zerrissen". Auf dem überfluteten Neuen Weg fuhren Boote, um Menschen und Güter vom südlichen Ende der Straße und aus dem Bereich der Großen Stadtbrücke an der Brückstraße zu retten. Auch in Bargebur waren viele Häuser von den Fluten weggerissen worden; die Bewohner hatten sich vor allem in der reformierten Kirche, in die allerdings auch Wasser eindrang, in Sicherheit gebracht. Nach Angaben des reformierten Geistlichen Hardingius Rösing floss das Wasser wochenlang nicht ab, sodass die Kirche in Bargebur nur mit Schiffen erreicht werden konnte.

Kettlers erste Bilanz (in heutiger Schreibweise): "Von den im Wasser umgekommenen Leuten sind, soviel man weiß, allhier auf dem Kirchhof (an der Ludgerikirche) 137 begraben worden und werden allemal etliche zusammen hingebracht und alsdann zugleich besungen und bepredigt. Da aber noch verschiedene Menschen vermisst werden, so ist daraus zu schließen, dass noch viele tote Körper vonMenschen und Vieh unter deman etlichen Orten aufeinanderliegendem Heu und Stroh bedeckt liegen." Das Sielbauwerk am Norder Hafen und die Kajung seien in großer Gefahr.

"Verdrunkene Doden"

Auch Amtmann Kettler sah - wie etliche Pastoren - in der Weihnachtsflut ein "Strafgericht Gottes", wenn er eingangs in seinem Bericht für die fürstliche Obrigkeit schrieb: "Demnach der Höchste und gerechte Gott ... nicht allein dieses Amt, sondern auch andere Ämter und Güter dieses Landes mit einer solchen schweren Wasserflut, als bei Menschengedenken nicht gewesen ... heimgesucht."

Das von Kantor Christian Weberling geführte Begräbnisregister der lutherischen Gemeinde Norden verzeichnete mit dem Vermerk "Weiß nicht wohin und woher" auch unbekannte Männer, Frauen und Kinder, die in der Katastrophennacht den Tod fanden. Bis in den Monat Mai 1718 wurden immer wieder "vertrunkene Leuthe" oder "verdrunkene Doden" mit und ohne Namensnennung aufgeführt.

Am schwersten betroffen im Amt Norden waren die Westermarsch und die Lintelermarsch, die heute zum erweiterten Norder Stadtgebiet gehören. Die fruchtbare Marsch in exponierter Lage war den von Nordwesten herandrängenden Wassermassen völlig preisgegeben. An sechs Stellen rissen sie allein in der Westermarsch Löcher in den Deich. In den ersten Wochen nach der Katastrophe legten die Vögte Ferdinand Pichler und Hermannus Witloch (auch Witlach) ein am 19. Februar 1718 von ihnen unterschriebenes Verzeichnis aller Verluste an, das Amtmann Kettler einem weiteren Bericht an die fürstliche Regierung beifügte.

Daraus geht hervor, dass in der damaligen Vogtei Westermarsch 183 und in der Vogtei Lintelermarsch 99, insgesamt also 282 Menschen ums Leben kamen. In der Westermarsch wurden 53 und in der Lintelermarsch 30 Häuser "weggespült". Hinzu kam in beiden Gebieten der Gesamtverlust von 226 Pferden, 51 Füllen, 695 Stück Rindvieh, 388 Schafen und 97 Schweinen.

Itzendorf ausgedeicht

Besonders hart traf es die direkt an der See gelegene Westermarscher Ortschaft Itzendorf, wo 37 Menschen ertranken und elf Häuser, darunter die Schule, zerstört wurden. Übrig blieben nur drei Gebäude. Der schwer angeschlagene alte Deich konnte nicht wiederhergestellt werden. So kam es in der Folgezeit zum Bau eines weiter landeinwärts gezogenenneuen Deiches mit der Konsequenz, dass die alte Ortschaft Itzendorf aus Sicherheitsgründen ausgedeicht und der See preisgegeben wurde. Der Neubau der Schule begann erst 1771. Nach bisher bekannten Darstellungen waren die Kinder der Schulgemeinde bis dahin ohne jeglichen Unterricht. Zur Altendeicher und Westerhörner Schule in der Westermarsch waren die Wege zu weit.

Kettler schloss seinen Bericht aus dem Amt Norden mit den Worten: "In dem ich dies schreibe,werden wieder so viele Leichen vorbeigefahren, dass man es ohne Tränen nicht ansehen kann. Das Wasser geht sogar bis an das Hochmoor hinauf."

Die Lage im Amt Berum

Das benachbarte Amt Berum bestand aus den Vogteien Ostermarsch, Hage, Nesse, Arle und den Inseln Norderney und Baltrum. Nach Angaben des Auricher Hofpredigers Johann Friedrich Bertrams, der 1735 eine Beschreibung des Fürstentums Ostfriesland herausgab, sind in diesem Amt 585 Einwohner ertrunken, 188 Häuser total zerstört und 164 beschädigt worden. Die Deiche seien "ruiniert und elend zugerichtet". Im benachbarten Amt Aurich standen weite Teile des Brookmerlandes und der Vogtei Riepe unter Wasser.

In seiner 1719 in Halle erschienenen Schilderung der Wasserflut in Ostfriesland erwähnt der Resterhafer Pastor und Augenzeuge Johann Christian Hekelius einen jüdischen Mitbürger, der sich in Norden vorbildlich verhalten und viele Christen beschämt habe: Nachdem der Mann eine große Ladung Roggen an Bord seines im Hafen liegenden Schiffes in Sicherheit gebracht hatte, schenkte er armen und bedürftigen Einwohnern einen Teil des Getreides. Dazu Hekelius: "Wahrlich ich sage euch, solche werden auftreten am Jüngsten Tag wider unsere lieblosen Christen und dieselben verdammen."

Peter van Geuns, in Norden ansässiger mennonitischer Prediger, war ebenfalls ein Zeitzeuge der Katastrophe und führte Tagebuch. Darin heißt es, dass sich am " Noorddyk" ein ganzes Haus mit einem Mann, einer Frau, einer Kuh und einer noch brennenden Lampe losgerissen habe und auf der hoch gelegenen Wirde bei Norden angetrieben worden sei. Der Norder Heimatforscher Ufke Cremer ordnete diese merkwürdige Rettung allerdings später als sagenhafte Erzählung ein und bemerkte, dass der Volksmund dieser Geschichte noch allerlei Einzelheiten hinzugefügt habe.

Die "Drievhusen"

Im Zusammenhang mit der Weihnachtsflut ist in vielen Situationsschilderungen von treibenden Häusern, in der Flut schwimmenden Hausteilen und Dachböden die Rede. Bis auf den heutigen Tag werden in Veröffentlichungen "Drievhusen" (auch "Drifthusen") beschrieben, die mit einem besonders konstruierten "Schwimmdach" versehen waren. Im Katastropenfall, so heißt es, retteten sich die Bewohner mitsamt Hab und Gut auf dem Dachboden. Wenn das Wasser bei einer Sturmflut die Decke des Erdgeschosses erreichte, ließ sich - mit wenigen Handgriffen - der unverankert auf den Mauern liegende obere vom unteren Teil des Hauses lösen. Das somit entstandene "Hausboot" trieb auf den Wogen, bis es einen erhöhten Punkt erreichte und anlegen konnte. Auf Spiekeroog werden Konstruktionen dieser Art bis heute beschrieben.

Im Gegensatz dazu hat der niedersächsische Hausforscher Dr. Volker Gläntzer im vergangenen Jahr die "Drievhusen" als "Mythos der ostfriesischen Heimatforschung" bezeichnet (siehe auch Heim und Herd, 2016, Nr. 8). Zitat: "Wenn es Rettungen auf wegtreibenden Dachböden gegeben hat, so handelte es sich um Ausnahmenund glückliche Zufälle. Für eine vorausschauende, absichtsvolle Nutzung der Dachböden als Rettungsflöße gibt es keine Hinweise."

Schwere Sturmflut an der ostfriessichen Küste

Bedrohliche Situation in alter Zeit: Schwere Sturmflut an der ostfriessichen Küste, gezeichnet von dem Dornumer Künstler Ludwig Kittel.

Der zwischen Norddeich und Utlandshörn verlaufende Westermarscher Seedeich

In der Folgezeit nach der Weihnachtsflut 1717 musste das alte Itzendorf ausgedeicht und der See preisgegeben werden. Der zwischen Norddeich und Utlandshörn verlaufende Westermarscher Seedeich war schwer beschädigt und sechsmal völlig durchbrochen worden. Nach einer Handzeichnung im Staatsarchiv Aurich fertigte Arend Lang, Juist, 1955 diese Darstellung an.


Dat wilde Water

"Dat wilde Water" zerstört eine Stadt - eine Darstellung aus dem 17. Jahrhundert.


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