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von Dr. med. Steingießer, Norderney
Zu Pfingsten dieses Jahres wird in Norderney das neue Seewasser-Wellenschwimmbad eröffnet und in Betrieb genommen. Allen Hemmungen und Widerständen zum Trotz ist damit ein Werk vollendet, das, einzig in seiner Art, dem Bade Norderney nicht nur in allgemeinen, sondern vorzüglich in medizinischer Beziehung eine ganz eigene, charakteristische Noe unter allen Seebädern des Kontinents verleiht. Ein Seewasser-Wellenschwimmbad!!! Ich gestehe, daß mir ursprünglich starke Zweifel aufstiegen und ich dem Plane eine gewisse Skepsis entgegenbrachte, so daß meine Erwartungen nicht allzuhoch gespannt waren, ich gestehe aber ebenso offen, daß nach der ersten, unter fachmännischer Leitung erfolgten Besichtigung alle Zweifel und Befürchtungen restlos beseitigt wurden, so daß die anfängliche Skepsis in hellen Enthusiasmus umgeschlagen ist. Der Entwurf wurde im Auftrage der preußischen Regierung durch die Architekten Brüder Siebrecht, Hannover, ausgeführt. Die Bauleitung erfolgte durch die preußische Staatshochbauverwaltung: Oberbaurat Eggeling, Regierung Aurich, Baurat Hauch, Hochbauamt Norden, und Baurat Spießbach, örtliche Bauleitung Norderney.
Der Künstler hat hier eine Bauform angestrebt von fast spartanischer Einfachheit und Klarheit, die jedoch die Forderung nach Qualitätsarbeit um so stärker in den Vordergrund treten läßt. Es ist geradezu erstaunlich, daß die "neue Sachlichkeit" mit ihrer einfachen, strengen Linienführung dem modernen Empfinden beinahe ebenso gerecht wird, wie beispielsweise die Gotik dem Empfinden des Menschen vor 300 Jahren. Ein einziger Blick in die Vorhalle des Wellenschwimmbades bestätigt die Richtigkeit dieses Satzes. Was hier mit den einfachsten Mitteln erreicht wurde, ist geradezu verblüffend! Diese Wartehalle, 27 Meter lang und 11 Meter hoch, wirkt mit ihren großen, glatten Seitenflächen, mit ihrem aus roten Klinkerplatten hergestellten Fußboden, mit ihrer hellen, durch dunkle Querbalken unterbrochenen Decke eher als Festsaal denn als Wartehalle. Hier ersieht man deutlich, daß einfache Formen nur bestes Material und beste Ausführung verlangen, da sonst "neue Sachlichkeit" zu einer Anklage gegen den Geist der Kunst und auch der Künstler wird. So ist die Förderung des Qualitätsgedankens zum Leitfaden des gesamten Baues geworden.
Der imposante Neubau erhebt sich auf dem Terrain des früheren Georgsgartens, wo einst das alte Kaffee Lehmkuhl stand. Nach den Bauplänen stellt das bisher Fertiggewordene erst einen kleinen Teil der Gesamtanlage dar, von deren Großartigkeit der Laie sich kaum eine Vorstellung machen kann.
Durch zwei große Türen gelangt man in die Vorhalle, an deren Vorderwand ein breiter Treppenaufgang sich befindet. Unauffällig, fast verborgen der kleine Kassenraum hinter runden, glänzenden Spiegelscheiben, gleichsamt um Entschuldigung bittend, daß selbst in diesen "heiligen Hallen" das gemeine Geld seine Herrschaft ausüben muß! An die rechte Seite der Vorhalle soll sich das noch nicht aufgeführte dritte Warmbadehaus mit Wannen- und medizinischen Bädern anschließen.
Von der Vorhalle führt ein unmittelbarer Zugang links zum Zeilenflügel des Sockelgeschosses, der für Vereine, Schulen usw. und bei besonders starkem Besuch zur Verfügung steht. Auf der rechten Seite der Vorhalle befindet sich die Wäscheausgabe, dahinter, völlig abgeschlossen, der Wäschetrockenraum mit Kulissentrockenapparat. Steigt man die breiten Treppenaufgänge empor und tritt durch große Glastüren ein, so gelangt man in die eigentliche Schwimmhalle, den Mittelpunkt der Gesamtanlage. Der erste Eindruck ist überwältigend! Auch hier wieder diese glatten, großen, hellen Flächen von einfachster Linienführung, aber fast übergroßen Ausmaßen. Durch zwanzig 5 Meter hohe Fenster flutet eine Lichtmenge in den Riesenraum, der sein besonderes Gepräge durch das 45 Meter lange und 11 Meter breite Schwimmbecken erhält. Der vordere, flache Teil des Bassins, zu dem eine breite gerundete Treppe führt, dient für Nichtschwimmer, der hintere, tiefe Teil (größte Wassertiefe 3,60 Meter) für Schwimmer. Hellgrüne Fliesen bedecken den Boden des Beckens, 1.100 Kubikmeter Meerwasser sind hier aufgespeichert. Ruhig schlummert noch das blaugrünschimmernde Miniatur-Meer und ladet lieblich zum Bade ein. Doch plötzlich ertönt aus geheimnisvoller Tiefe ein fernes, dumpfes Brausen. Sturmwarmung! Langsam hebt und senkt sich in kurzen Intervallen der Meeresspiegel, die erste Welle naht spielend und umspült uns, leise, schüchtern, zögernd. Bald kommen höhere, der Sturm nimmt zu, schnell türmt sich Welle auf Welle. Wie vom Orkan gepeitscht, erscheint das bis dahin so ruhig friedliche Wasser; schwer brandet die See an der Treppe, die Wellen überstürzen sich, klettern an einander empor, prallen aufeinander, zerstäuben in Millionen kleinster Teilchen und erreichen beinahe, den oberen Rand des Bassins. Wellenkämme die zu 1,80 Meter hoch stürzen majestätisch aus dem dunklen Grunde, flachen langsam ab, um an der Treppe in kleinsten Schaumteilchen zu verebben. Ein erhabenes Schauspiel! Wie der König der Wüste ist hier der "blanke Hans" gezähmt, gebändigt, eingelegt in Fesseln, und wie der Löwe in seinem Kerker von Zeit zu Zeit aufbrüllt, an den Gittern seines Käfigs vergeblich rast und rüttelt, so erleben wir auch hier den grandiosen Anblick der Zähmung eines Elementes durch Menschengeist. "So bezwingt des Menschen Geist Natur. Doch seine Seele geht dabei zu Grunde." Bald ist die Luft mit Salzteilchen völlig gesättigt, der ganze Raum zu einem Riesen-Inhalatorium gewandelt.
Das ein solches, gleichmäßig erwärmtes, in jeder Zeit, bei jeder Außentemperatur benutzbares Seebad zu den wirksamsten Faktoren der modernen Therapie für Schwache und Erholungsbedürftige gerechnet werden muß, wird wohl jedem Laien klar werden. Die Herren Kollegen vom Festlande sollten dieser Ueberzeugung ebenfalls Rechnung tragen und bedenken, daß durch ein das ganze Jahr geöffnetes Meerwasser-Wellenschwimmbade ihren Patienten Gelegenheit gegeben ist, unabhängig von Wind und Wetter, zu jeder Jahreszeit Seeluft einzuatmen und Seebäder in jeder Form zu nehmen.