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53° 42' 26" N 7° 8' 49 Flagge der Insel
Chronik einer Insel
Insel Norderney

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"De Prühßen kommen!"

In der Stube nebenan lebt ein Alter, einer der Ältesten der Insel. Wer will es mir verdenken, wenn ich an langen Winternachmittagen zu ihm herübergehe, einen "Snack" zu halten. So nennt man hier eine Plauderei.

Gestern kam der Gemeindediener mit einer Liste und forderte mich auf, meine Personalien anzugeben. Ich bezeichnete mich in einer dazu bestimmten Liste als Preußen. Ich hätte das nicht tun sollen. Ich habe damit den Alten neben mir gekränkt. Das habe ich erst heute gemerkt, als er meinte, man müsse es zugeben, Norderney sei ohne einen Schwertstreich preußisch geworden.

Ich gab das natürlich zu. Darauf erzählte der Alte folgendes:
"Tja, damals in der Nacht als die Prühßen kamen, machte der Nachtwächter Pleines die Runde um die Häuser. Es war im Juni des Jahres 66. Er hörte Stimmen in der Nacht und sah Lichter zwischen den Dünen. Ehe er sich versah, hielten ihn fremde Soldaten gepackt, leuchteten ihm ins Gesicht, und Einer fragte mit rauher Stimme: Du altes Nebelhorn, zeige uns das Haus des Barons Bock von Wülfingen. Der Nachtwächter wollte es nicht wissen, denn der Baron war ein gerechter Badecommissair und ein getreuer Diener seines Königs. Das wußte jedes Kind auf der Insel. Doch die Prühßen verstanden keinen Spaß und drohten, ihn zu arretieren und aufs Meer hinauszunehmen. Die Einwohner lagen in den Betten und schliefen. Die Nacht war finster. Hilfe gab es nicht. Ahnte der erschrockene Nachtwächter etwas vom Gang der Weltgeschichte, als .er die nächtlichen Eindringlinge zum verehrten Herrn Baron führte, der arglos in den Kissen schlummerte? Der Baron ahnte jedenfalls nichts davon. Nun sollte er es fühlen. Er durfte sich in die Kleider werfen, die er sorgsam über den Stuhl gebreitet hatte; ja sogar etwas Wäsche durfte er in einem gestickten Sack mitnehmen. Dabei gelang es ihm, einige Briefe und Bilder hineinzuschmuggeln. Dann aber ging es in die Nacht hinaus. Umringt von Pistolen und Bajonetten stolperte er durch die sandigen Dünen zum dunklen Strand hinunter. Die Grenadiere machten unter rauhen Witzen das Landungsboot klar, das in der Brandung der Flut schaukelte. Bis an die Knie stand der Baron im Wasser. Nicht einmal zu fluchen wagte er, so schrecklich lachten die Grenadiere. Dann ging es im gleichmäßigen Schlag der Riemen aufs Meer hinaus, wo im Schatten der Nacht das königlich preußische Kanonenboot ,Blitz' wartete, mit Order, den widerspenstigen Baron auf schnellstem Wege zum General-Gouverneur nach Hannover zu bringen.

Der Nachtwächter Pleines aber hängte sich sein Nebelhorn wieder um den Hals und machte sich auf den Weg zum Gemeindehaus, Rapport zu erstatten. Am frühen Morgen wußte es das ganze Dorf: Die Prühßen haben den Herrn Baron heut' nacht geholt!

Es war einige Tage später, an einem heißen strahlenden Junitag. Die rote Badeflagge flatterte lustig über der Marienhöhe. Damals gab es noch kein Familienbad. Damen- und Herrenstrand lagen getrennt wie feindliche Lager. Wärterinnen wachten in den Dünen. Warnungstafeln und Signale umgaben das Paradies der Damen.

Im Schulhaus am Dünenweg saßen die Knaben der Insel, rotbackige Jungen, rechte Flachsköppe und Strandräuber. Sie lernten, so gut es ging. Meist aber schauten sie über die Dünen aufs offene Meer und zählten die weißen Kämme der Wogen vor dem Strand ihrer Insel. Plötzlich entdeckte der junge Jabk Eils etwas Außergewöhnliches da draußen. Ein Schiff drehte vor der Insel. Daß es nicht der Telegraph, das Bäderschiff, war, sah er sofort mit Seemannsblick. Flaggen am Topp, ein Kriegsschiff. Die Prühßen, schoß es ihm durch den Kopf. Schon rief er mit lauter Stimme ins Schulzimmer hinein: "Die Prühßen kommen, die Prühßen kommen!" Da gab es kein Halten mehr. Alles stürzte hinaus, der Lehrer hinterdrein. Sie riefen es in die Häuser und Gärten: "Die Prühßen kommen! Die Prühßen halten vor dem Strand!"

Jabk hatte recht gesehen. Es war der ‚Blitz', der auch den Baron geholt hatte. Das Kanonenboot legte sich vor den Weststrand und landete ein Boot mit Soldaten. Ein preußischer Leutnant kletterte auf die Dünen und spähte durchs Glas auf die Insel. Das erste, was er entdeckte, war die rote Badeflagge auf der Marienhöhe. Dorthin marschierte er mit 10 Mann der Besatzung, und obwohl das Betreten der Marien-höhe für "Personen männlichen Geschlechtes" streng verboten war, solange die Badeflagge wehte, marschierte er den Hügel hinauf, zog den moralischen Wimpel ein und hißte unter knappem, militärischem Kommando den preußischen Adler.

Norderney war an seiner empfindlichsten Stelle getroffen worden, am Damenstrand. Damit war das Schicksal der Insel besiegelt. Wenige Tage später verkündete der beliebte Gemeindediener unter lautem Schellengeläute folgenden Aufruf in den Straßen:

,Der Königlich-preußische Herr General-Gouverneur des Königreichs Hannover hat das Aufziehen der hannoverschen Flagge, insbesondere auch der Königsflagge, auf den öffentlichen Gebäuden im ganzen Lande fortan untersagt. So nehmen wir unsere Verfügung wegen Aufziehen des Royal Standard auf den königlichen Schlössern und Gebäuden zurück. Der Royal Standard ist einstweilen gehörig unter Verschluß aufzubewahren.'

Tja, Norderney ist ohne einen Schwertstreich preußisch geworden, man muß das zugeben", meinte der Alte. Dabei nickte er mit dem Kopf. Ich sah durch die kleinen Fenster auf die Dünen hinaus. Regen und Sturm peitschten die preußische Insel. Man muß das zugeben!


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