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Insel und Küste | Alte Häuser | Teil 1 | Teil 2 | Teil 3 | Teil 4 | Teil 5 | Teil 6 | Teil 7Norderney Kurier (Serie erschien vom 01.09.2017 - 13.10.2017)
Feste Burg aus Steinen und Dünensand
1892 baute der Maurer und Zimmerer Lühr Heeren Rahs in der Benekestraße 56 seine "Villa Ostende". Rahs heiratete 1880 Engelina Johanne Fulfs. Die Familie wohnte zu der Zeit in der Halemstraße 10. Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor. Das achte Kind, Johann Jacob, kam in dem Neubau der "Villa Ostende" zur Welt.
Rahs baute sein Haus in allerbester Handwerksarbeit, sodass sich heute das gesamte Mauerwerk noch in einem achtbaren Zustand befindet. Er hat keinen Stein verbaut, in den beim Transport mit den Segelfrachtschiffen Seewasser eingedrungen war, das Salpetersalz herbeigeführt hätte. Rahs wusste auch, dass nur eine gute Zement- und Kalkmischung zusammen mit hartem Sand aus den unteren Schichten einer Düne für die Festigkeit des Mauerwerkes von Bestand war. Nach Fertigstellung bekam der Neubau den Namen: "Villa Ostende". Ostend wurde damals die Gegend genannt, die östlich der Winterstraße lag und die westliche Gegend bis zum Damenpfad hieß Westend. 1904 verkaufte Lühr Rahs sein schönes Haus an die Firma W. Wümker aus Oldersum, weil er seinen jüngsten Bruder Jacob Siegesmund unterstützte. Der Bruder war ebenfalls von Beruf Maurer und baute die "Villa Nordstern" in der Luciusstraße 2. Beide Häuser wurden an die neuen Lehrkräfte der gerade erbauten Schule an der Chausseestraße verkauft. Der Lehrer Bruno Ziesche, der schon in der Benekestraße 56 wohnte, erwarb 1908 das Haus an der Benekestraße 56. Rektor Jann Berghaus bezog das Haus an der Luciusstraße 2. Beide Hausnamen wurden von den neuen Eigentümern übernommen. Die damalige Währung war die Goldmark. Ziesche setzte für den Kauf des 280 Quadratmeter großen Anwesens auch die Mitgift seiner Ehefrau Johanne geb. Steinfeld aus Augustfehn ein. Johanne Ziesche betrieb, einschließlich ihrer eigenen großen Wohnung im ersten Stock, ein Logierhaus und vermietete die Wohnungen mit Küchenbenutzung an Badegäste.
Die Wirtschaftsräume waren im Souterrain untergebracht. Die Gästewohnungen wurden mit einer gusseisernen Ofenheizung, welche mit Torf bestückt wurde, beheizt. Da in der damaligen Bade-Saison nur etwa vier Monate im Sommer vermietet wurde, waren die laufenden Eigenkosten gering. Hinzu kam, dass Lühr Rahs und sein Bruder Jacob für beide Häuser nur einen Wasser- und Kanalanschluss hatten, aber zwei Wasserzähler. Gas zum Kochen kam erst später.
Im Frühjahr, wenn die "Maiden" vom Festland kamen, wurde das ganze Haus von oben bis unten geschummelt (gesäubert). 1908 errichteten sie den Küchenanbau in der Luciusstraße und den Veranda-Anbau an der Benekestraße. Gebaut wurde vom Nachbarn, dem Maurermeister Eduard Mundt. 1921 verstarb Bruno Ziesche, und seine Frau verwaltete das Haus bis 1945. Danach übernahm ihr Sohn Ernst das Haus, der mit seiner Schwester Helene Buchholz, geb. Ziesche aus Berlin geflüchtet war und 1984 starb.
Im Mai 1963 kauften die Eheleute Bonno und Ursula Eberhardt von der Erbengemeinschaft Ziesche das alte Haus, welches nach dem Krieg 1945 sehr gelitten hatte. Zu der Zeit war es nicht üblich, ein Haus abzureißen und neu zu bauen. Wegen fehlenden Kapitals kam es auf das handwerkliche Geschick der neuen Eigentümer an, das Haus in eigener Arbeit wieder so herzurichten, dass es wiederum an Badegäste vermietet werden konnte.
Beide hatten großes Glück, dass sie von ihren Eltern und Nachbarn sowie Feuerwehrkameraden mit Arbeitsleistungen unterstützt wurden. Es gab nur fließend kaltes Wasser in den Gästezimmern, und Bonno Eberhardt, der sich 1956 als Klempner- und Installateur selbstständig gemacht hatte, baute zuerst eine Koksheizung mit einer Warmwasserversorgung ein. Die Familie Eberhardt war mit einer der ersten Privat-Vermieter auf der Insel, die in ihren Gästezimmern komplette Nasszellen einbauten.
1972 begann die große Renovierung. Die Ansprüche der Gäste stellte die Familie vor eine große Entscheidung. Um weiter konkurrenzfähig zu sein, musste das Äußere des Hauses von Grund auf saniert werden. Der Bauunternehmer Jakob Extra wurde beauftragt, die Arbeit in einer Stundenlohnabrechnung vorzunehmen. Die Familie hat es nicht bereut, ihr Haus in einen ansehnlichen Zustand gebracht zu haben, denn: "Billig und Gut liegen nicht beieinander." Heute sind sie dankbar, diesen Schritt getan zu haben.
Der Name Ostend ist auch geblieben. Statt Villa heißt das Eckhaus jetzt auf Plattdeutsch: "Huus Ostend". Den Schriftzug in der oberen Türscheibe hat der Maler Gustav Rass, ein Onkel von Bonno Eberhardt, in alter Norderneyer Schriftenmalerei mit Blattgold in Spiegelschrift angefertigt. Heute ist diese Beschriftung auf Norderney ein Kleinod.
Um dem alten Hauseingang seinen rechteckigen Charakter zu nehmen, hatte Eberhardt um 1973 die Idee, einen Eichentürstock aus kurzfaseriger Eiche mit einer geschnitzten Inschrift zu montieren. Der Entwurf kam von seinem Freund, Tischlermeister Dieter Hoppe. Es musste ein besonderes Eichenholz sein, welches beim Ausstemmen der Buchstaben nicht spaltet. Hoppe hatte sich für eine Kirchenschrift entschieden, die viel handwerkliches Geschick verlangte. Die schmiedeeiserne Einfassung für das Hufeisen wurde Anfang 2017 von einem Oberlausitzer Schmiedmeister nach Vorlage von Eberhardt angefertigt. Der Hausspruch lautet: "Do wat du wullt, de Lüü snakt doch." (Du kannst machen, was du willst, die Leute reden doch.) Auch das Baujahr und das Renovierungsjahr werden genannt. Diese Eingangsverzierung war bis 2017 einmalig auf der Insel. Heute gibt es eine weitere im Hauseingang gegenüber.
Auf der Postkarte von 1911 ist die Mundtsche Bauweise der doppelstöckigen Veranda mit den Säulen und Halbsäulen gut zu erkennen, die um 1908 gebaut wurde. Die Pferdestraße ist gepflastert. Damals waren die Leute "kaisertreu" und zogen ihren Pensionsgästen zuliebe die schwarz-weiß-rote Fahne auf. Die Fahnenwimpel zeigen: "Es ist Saison." Die Veranda und die Putzflächen am Haus wurden jedes Frühjahr vom Maler "gekalkt". Einer in der Straße fing damit an und der Nachbar zog nach.
Nach der großen Renovierung im Jahr 1973 wurde 1975 diese Postkarte als Werbung für die Pension von einem Verlag erstellt. Sie hat heute noch Gültigkeit. Man kann gut erkennen, dass sich am Umfang der einzelnen Bauteile seit 1908 nichts geändert hat: schiere Gemütlichkeit. Nur mit dem Zeitgeist wurde mitgegangen. Das Haus hat sich jung gehalten, weil es bei der Renovierung - dank der Baufirma Jakob Extra mit dem Polier Adolf Jürrens - einen soliden Ringanker zwischen dem ersten Stock und dem Dachgeschoss bekam.
Der Stolz eines Hausbesitzers: "Fibliquindjis" (Nippes, Gegenstände, die man nicht braucht, aber die einen erfreuen) gehören nicht nur ins Haus, sondern verschönern auch von außen das Heim.
Ein Meister bleibt immer Meister: Bonno Eberhardt hat nach seiner Berufsaufgabe den Handwerksspruch auf sein Geschäftstransparent kleben lassen. Es ist auf Norderney ein viel fotografiertes Schild. Unter dem Schild, links neben dem Garagentor, liegt das Büro, wo die Norderneyer Geschichten geschrieben werden. "Hier kann man alt werden, wenn kein Ärger kommt", sagt Eberhardt.