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Große Investitionen zur Weiterführung des Cafés / Restaurants in "Selden Rüst"
"Wie sieht die Norderneyer Mühle eigentlich von innen aus?" So lautete die Frage im Ostfriesischen Kurier am 24. September 2010. Der Zeitungsbericht beschäftigt sich mit den Besonderheiten der zweiten Norderneyer Plattdeutschen Woche, in der neben vielen anderen Veranstaltungen auch die Möglichkeit bestand, das "hölzerne Innenleben der Norderneyer Windmühle 'Selden Rüst' kennenzulernen". Weiter liest man in dem Artikel: "Die beiden ehrenamtlichen 'Mühleninspektoren' Bernhard Müther und Johann Rass begrüßten die zahlreichen Besucher vor dem historischen Bauwerk und gaben auf Platt zunächst allgemeine Erklärungen zur Geschichte und Funktionsweise der einzigen Windmühle auf einer Ostfriesischen Insel ab. "Wi freien uns, wenn sück de Mühlenflügel dreihen un sück de Lü dann freien", brachte Johann Rass sein Engagement als ehrenamtlicher Mühlenwart auf den Punkt. - Sie inspizieren den Galerieholländer regelmäßig, bekämpfen gegebenenfalls die Holzwürmer darin, reinigen die Innenräume oder lösen die Bremsen, damit sich die Mühlenflügel drehen können. Die beiden Insulaner betonen, dass die Mühle regelmäßig laufen muss, damit die Mechanik gangbar bleibt. Für diese äußerst intensiv geleistete Arbeit wurden die - seit nunmehr einigen Jahren tätigen - vier Mühlenwarte im Januar 2016 anlässlich des Neujahrsempfanges geehrt. Schon seit mehreren Jahren gehört eine solche Auszeichnung für Einzelpersonen oder Gruppen zu diesem alljährlich stattfindenden Ereignis Anfang Januar dazu: Es ist eine ganz besondere Würdigung für Menschen, die sich für die Insel und ihre Gemeinschaft einsetzen - in diesem Falle eine Ehrung für "Gemeinschaft, Inseltraditionen, Brauchtum, Kultur und Erhaltung eines Baudenkmals gleichermaßen".
Das oben zitierte "hölzerne Innenleben" der in diesem Sommer 155 Jahre alten Norderneyer Windmühle stellt sich wie folgt dar:
In der Mühlenkappe befindet sich die mächtige Flügelwelle mit dem Kammrad. Die Zähne dieses Kammrades greifen an den "Bunkler", einem kleineren Zahnrad, worüber die genau im Mittelpunkt der Kappe und des Rumpfes befindliche "Königswelle" angetrieben wird. Dabei wird die waagerechte Drehbewegung in eine senkrechte umgewandelt. Am unteren Ende der Königswelle befindet sich das Stirnrad, in dieSpindelräder greifen bis zu vier Spindelräder (Korbräder), die über Spindeln (Spill) die Mahlgänge antreiben. Durch seitliches Verstellen können die Spindelräder einzeln vom Stirnrad abgekuppelt werden, sodass der Leerlauf einzelner Mahlgänge oder der gesamten Mühle möglich ist. Mit zwei Mahlgängen konnten in der Inselmühle "Selden Rüst" bei gutem Wind fünf Tonnen Getreide am Tag gemahlen werden.
Mitte des Jahres 2009 erreichte ein Rundschreiben der "Arbeitsgruppe Mühlenstraße" auch die Eigentümerinnen der Norderneyer Mühle - bereits am Pfingstmontag des Jahres 1998 hatte der damalige niedersächsische Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke an der Bardowicker Mühle, im Landkreis Lüneburg gelegen, das erste durch vier Landkreise führende Teilstück der Niedersächsischen Mühlenstraße eröffnet. In dem "Rundschreiben an Eigentümer und Pächter historischer Mühlen" berichtet die Arbeitsgruppe darüber, dass aktuell - also im Jahr 2009 - die Route über zirka 2.800 Kilometer führt und insgesamt 301 historische Mühlen verschiedener Nutzungsformen verbindet. Eines der Ziele laut dem Rundschreiben: "Es ist ein wesentliches Anliegen des Projektes Niedersächsische Mühlenstraße, mit dessen Einrichtung die Voraussetzungen für die Förderfähigkeit teilnehmender Mühlen aus staatlichen oder europäischen Förderprogrammen zu schaffen und somit einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung und Erhaltung des Kulturgutes Mühle zu leisten." Seit dem Herbst 2009 ist auch die Norderneyer Kornwindmühle "Selden Rüst" Teil der Niedersächsischen Mühlenstraße.
Ende des Jahres 2013 verließ das Ehepaar Vollmer die Mühle. Dies taten sie nach 33 Jahren, in denen - laut Zeitungsbericht der Norderneyer Badezeitung vom 31. Dezember 2013 - "viele Köche und Kellner ihre Ausbildung in der Mühle gemacht haben". Ein schwerer Abschied. Viele Erinnerungen, festgehalten in Bildern und Zeitungsausschnitten, und ebenso ganz sicher auch eine bedeutsame Zeit der Inselgeschichte.
Zugleich ging damit Ende 2013 auch eine Epoche der Mühlenfamilie zu Ende. Mit dem Pächterwechsel stand auch diesmal wieder ein Generationenwechsel an: Die beiden bisherigen Eigentümerinnen in Erbengemeinschaft verstarben 2012 und 2014, beide hochbetagt und vielleicht die - zumindest vorerst - letzte Generation, die ihr gesamtes Leben im "Schatten" ihrer geliebten Mühle verbracht hat. Beide Ereignisse waren begleitet von schwierigen Umständen. Bedingt durch den Pächterwechsel stellte sich heraus, dass der Wirtschaftsbereich des Mühlen-Restaurants in weiten Teilen den mittlerweile sehr viel umfassenderen Vorschriften des Gesundheitsamtes "anzupassen" sei. Das bedeutete, dass es hier für eine neu zu vergebende Konzession zum Betrieb einer Gastwirtschaft eine sehr große Investition zu tätigen gab, die praktisch den gesamten Wirtschaftsbereich des Restaurants umfasste: Teeküche und Küche, vor allen Dingen aber: ein neu zu schaffenden Bereich, ein komplett neuer Anbau als Grundlage für großzügig bemessene Kühlräume, gedacht für eine Restaurantküche, die mit frischen Zutaten arbeiten kann. Ebenso dient dieser neue Wirtschaftsraum des Mühlen Restaurantbetriebes als Vorbereitungsraum mit einer Wascheinrichtung für das zu verwendende Gemüse beziehungsweise der Salate. Diese Arbeiten und die ganz erhebliche Erweiterung der Arbeitsräume haben einen Großteil der finanziellen Rücklagen der Eigentümer-Erbengemeinschaft verschlungen.
Eine neue Pächterin war Ende 2013, nach längerer Suche, auch gefunden worden. Die Insulanerin Silke Visser wollte die Herausforderung annehmen, das Restaurant / Café "Zur Mühle" weiterzuführen. Es ist nach 2014 eine große Aufgabe für die Zukunft - sowohl für die neue Erbengemeinschafts-Generation als auch für die Pächterin, sich in der Tradition und Nachfolge zu beweisen.
Eines der Lieblingsgedichte der vorherigen Mühlen-Eigentümerin, Elisabeth Fleetjer, war das folgende Gedicht von Friedrich Rückert (1788-1866):
"Leb'‘ in der Gegenwart! Zu leer ist und zu weit der Zukunft Haus, zu groß das der Vergangenheit. In beiden weißt du nicht den Hausrat einzurichten - Der ungeschehenen und geschehenen Geschichten. Doch dass die Gegenwart nicht eng sei und klein, zieh' die Vergangenheit und Zukunft mit herein. Die beiden mögen dir erfüllen und erweitern - die Wohnung und mit Glanz die dunkle schön erheitern."
Die Geschichte der Norderneyer Windmühle "Selden Rüst" in Bildern und Dokumenten. Es war für mich eine Art "Zeitreise". Die Lebensgeschichten aller Beteiligten, der Menschen, deren Lebensmittelpunkt die Inselmühle für eine Zeit ihres Lebens war - zumindest zu streifen - war für mich überaus faszinierend. Mein Respekt für die Lebensleistung aller derjenigen, die sich auf ganz verschiedene Weise mit der Mühle verbunden haben, ist in dieser Zeit des Schreibens der "Geschichte der Norderneyer Mühle" immer weiter gestiegen. Auch die Erkenntnis, wie eng verwoben alles miteinander ist: die Entwicklung des Seebades Norderney und der Bau der Windmühle 1862. Dies im Laufe der Zeit mit allen Rückschlägen, Zeiten des Krieges, entbehrungsreiche Nachkriegsjahre - und dann die doch ganz erstaunliche Wende, dass sich mit dem Wirtschafts- und Tourismuswachstum der 1970er und 1980er-Jahre eine neue, mehr als einfach nur Überlebens-Möglichkeit auch für die Mühle fand, noch einmal an der so positiven Norderneyer Entwicklung teilhaben zu können.
Die Mühle ist ein schönes Wahrzeichen der Insel. Zu jeder Tages- und Jahreszeit ist der Galerieholländer schön anzusehen.
Holländermühle (vereinfachte Schnittzeichnung), Broschüre "Windmühlen in Ostfriesland" / HerausgeberNiedersächsisches Landesverwaltungsamt Hannover 1983.
Die Mühlenwarte und "Mühleninspektoren" (von links): Johann Rass, Bernd Müther, Hans Westdörp und Werner Vieweger.